– so wird es Erasmus von Rotterdam zugeschrieben. Erasmus, 1469 in Rotterdam geboren, trat 1487 in das Kloster der Augustiner-Chorherren in Steyn bei Gouda ein, dem er bis 1517 auch angehörte (der vom ihm kritisierte Papst gewährte ihm den freundlichen Dispens, das Klosterleben aufgeben zu dürfen). Bei mehreren Aufenthalten in England lernte er auch Thomas Morus („Utopia“) kennen, dem er sein bekanntestes Werk – das „Lob der Torheit“ – widmete. In ihrer Kritik der Verhältnisse und Zustände ihrer Zeit waren Erasmus und Morus Brüder im Geiste und einem neuen Verständnis der Welt verpflichtet, das später als Humanismus und Aufklärung bezeichnet werden wird. Erasmus kann als führender Kopf („Fürst“) des europäischen Humanismus betrachtet werden, der mit seinem Rückbezug auf antikes Gedankengut das mittelalterliche Weltbild durch ein neues, frühmodernes Zeitalter der Wissenschaft und Bildung ablöste. Erasmus starb 1537 in Basel.
Das formal als Lehrrede aufgebaute „Lob der Torheit“, das er 1509 in lateinischer Schrift („Encomium moriae“) veröffentlichte, zeugt von seiner besonderen satirischen Kunst. Dieses Lob, in dem die Torheit selbst in der Ich-Form die Verhältnisse unabhängig von der konkreten Zeit ironisch betrachtet und ihre Lasterhaftigkeit auf’s Korn nimmt, war Gegenstand der Lesung, die Bodo Dannhöfer, der Redner des Freimaurer-Distrikts Niedersachsen/Sachsen-Anhalt, im Rahmen des Festivals der Freimaurerei den über 30 Gästen überaus gekonnt und besonders virtuos bot. In einer von ihm auf Grundlage des neudeutschen Textes verdichteten Fassung, textsicher, lebhaft, szenisch gestaltet und von herzlichen Applaus abschließend entlassen, ließ er tief in das Werk des Rotterdamer Humanisten Einblick nehmen – ein echter Genuss und Gewinn für Zuhörerinnen, Zuhörer und das Festival insgesamt!
Hören wir noch einmal hinein in den Originalton des Lobs: Alle sind Toren, sagt uns Erasmus mit Verweis auf das Alte Testament, denn da „schreibt der Prediger Salomo im ersten Kapitel: ‚Die Zahl der Toren ist unendlich.‘ Wenn er ihre Zahl unendlich nennt, so faßt er damit offenbar die Gesamtheit der Menschen zusammen, außer ein paar wenigen, die schwerlich jemand gesehen hat.“
Und es gibt besondere Toren, zuvörderst die Rechtsgelehrten:
„Von den Studierten beanspruchen die Rechtsgelehrten den ersten Rang, und wirklich bildet sich niemand so viel auch sich ein wie sie, wenn sie rastlos den Stein des Sisyphus wälzen, wenn sie hundert Gesetze in einem Atemzug zusammenkoppeln, gleichgültig, was sie betreffen, wenn sie Auslegung auf Auslegung, Lehrmeinung auf Lehrmeinung häufen, um ihrer Wissenschaft den Anschein des schwierigsten Studiums zu geben; denn was mühselig ist, muß, wie sie meinen, gleich auch bedeutend sein.“
Ihnen folgen sogleich die Philosophen:
„Nach ihnen ziehen gleich die Philosophen einher, in ehrfurchtgebietendem Bart und Mantel. Sie rühmen sich, allein weise zu sein; alle anderen seien flatternde Schemen. Und doch, wie köstlich phantasieren auch sie, wenn sie ihre zahllosen Welten bauen, wenn sie Sonne, Mond und Sterne mitsamt den Sphären auf Daumenbreite oder Fadendicke ausmessen, wenn sie den Blitz, den Wind, die Finsternis und andere unerklärliche Erscheinungen erklären, ohne zu stocken, als hätten sie der Natur beim Weltbau als Geheimschreiber gedient oder eben noch im Rate der Götter gesessen – und damit macht sich die Natur über sie und ihren Mutmaßungen von Herzen lustig.“
Nicht zu vergessen sind die Theologen:
„Gescheiter wäre es wohl, in dieses Wespennest nicht zu stechen und um diese stinkende Hoffahrt einen Bogen zu machen, denn die Leute sind hochnäsig und empfindlich und reiten am Ende mit ihren Schulsätzen schwadronsweise Attacke, um mich zum Widerruf zu zwingen, und weigere ich mich, so schreiben sie sogleich: ‚Ketzerei‘.“
Seine Kritik am Klerus fällt im „Lob der Torheit“ besonders umfangreich aus, feinsinnig und doch scharf; sie bringt Erasmus zeitweise einen Eintrag auf den Index der verbotenen Bücher: Gleichwohl bleibt er unter dem papsttreuen Karl V. Kaiserlicher Rat und er wird zum Kardinal vorgeschlagen – eine Würde, die er im letzten Lebensjahr freilich ablehnt.
In seinem zeitkritischen Panorama dürfen die Könige und Fürsten nicht fehlen, über die er
„(g)ern ein Wörtlein (spricht); sie bekennen sich doch so aufrichtig und freimütig, wie es Freien ansteht, zu mir. Hätten sie freilich nur eine halbe Unze Verstand, so wäre ihr Leben traurig und abschreckend wie kein zweites; denn wer würde einen Thron – gar noch durch Treubruch oder Brudermord – zu gewinnen wünschen, der erwogen hat, welche Last auf die Schultern derjenigen drückt, der ein wahrer Fürst sein will?“ Zumal „der Rang eines Fürsten so manches mit sich (bringt), was gerne vom rechten Weg ableitet: die nobeln Passionen, die Selbstherrlichkeit, die Liebedienerei, das Wohlleben. Da heißt es denn, stark an der Arbeit und scharf auf der Hut zu sein, um nicht, vielleicht gutgläubig, seine Pflichten irgendwo zu versäumen.“
Zu den Freunden der Torheit zählt Erasmus auch die Dichter, denn
„auch sie gehören nach eigenem Geständnis zu meiner Partei, denn sie sind, wie ein altes Wort sagt, ein lockeres Völkchen und kennen keinen andern Lebenszweck, als die Ohren der Toren zu kitzeln, und zwar mit reinen Kindereien und lächerlichen Märchen“. Und: „Vom gleichen Teige sind die Leute, die mit Bücherschreiben die Unsterblichkeit einfangen wollen. Sie alle schulden mir viel, am meisten die, welche hellen Blödsinn auf ihre Blätter schmieren.“
Es steht uns frei, zu bekennen, welcher Torheit wir uns verpflichtet fühlen.
Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit (in der Übersetzung von Alfred Hartmann), Stuttgart und Basel 1966